Wälzschälen in der Weichbearbeitung

Volker Schulze, Frederik Zanger, Daniel Bertsch, wbk Institut für Produktionstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Abbildung 1: Schemadarstellung der Verfahrenskinematik

Abbildung 2: Prinzipielle Vorgehensweise bei der kinematischen Simulation des Wälzschälprozesses

Abbildung 3: Versuchsmaschine INDEX V300Sonder mit integrierter Wälzschäleinheit

Abbildung 4: Vergleich der Späne in Experiment (li.) und Simulation (re.)

Abbildung 5: Bildung des Dreiflankenspans (Simulationsergebnis und Vergleich Realspan)

Einleitung
Verzahnungen lassen sich grundsätzlich in Außen- und Innenverzahnungen einteilen, die jeweils gerad- oder schrägverzahnt sein können. Für Außen- bzw. Innenverzahnungen existieren jeweils speziell optimierte und auf hohem Niveau entwickelte Fertigungsverfahren mit unterschiedlichen Werkzeugmaschinen und Werkzeugtechnologien. Diese Verfahren weisen jedoch entweder hinsichtlich der Produktivität oder der Flexibilität bezüglich des bearbeitbaren Bauteilspektrums sowie der Stückzahlen Einschränkungen auf, d.h. es können nicht beide Verzahnarten mit dem gleichen Verfahren bearbeitet werden, sie arbeiten bei einem dieser Prozesse unproduktiv oder sie sind auf die Anwendung in der Großserienfertigung beschränkt. Das Bauteilspektrum des Wälzschälverfahrens umfasst prinzipiell sämtliche rotationssymmetrischen periodischen Strukturen. Das Verfahren ist demnach sowohl für Innen- als auch für Außenverzahnungen geeignet. Es erfordert deutlich geringere Aus- und Überlaufwege als das Wälzfräsen. Das Wälzschälverfahren findet Einsatz sowohl bei wälzfräsbaren und räumbaren Verzahnungen als auch in Teilbereichen des Bauteilspektrums des Wälzstoßens.

Kinematik
Die Erzeugungsgetriebe kontinuierlich wälzender Verzahnverfahren werden zur Beschreibung der zugrundeliegenden kinematischen Beziehungen von Werkzeug und Werkstück nach Vorbildern von Getrieben aus der Antriebstechnik bezeichnet. Das Erzeugungsgetriebe gleicht einem Schraubradgetriebe. Kennzeichnend ist hier die windschiefe Anordnung von Werkzeug- und Werkstückachse. Zur Erzeugung der Schnittbewegung wird beim Wälzschälen der Gleitanteil der kämmenden Bewegung der sich im Eingriff befindlichen Zahnräder des Schraubradgetriebes ausgenutzt. Der Gleitanteil der Bewegung ergibt sich beim Wälzschälen aus der Achsanordnung des Erzeugungsgetriebes. Ein in der Auslegung gewählter Achskreuzwinkel gibt den Gleitanteil demnach als konstanten Faktor vor. Die absolute Größe des Gleitanteils und die daraus resultierende Schnittgeschwindigkeit vc lassen sich im Prozess, bei vorgegebenem Durchmesser von Werkzeug und Werkstück sowie vorgegebenem Achskreuzwinkel, nur durch die Rotationsgeschwindigkeiten der Achsen beeinflussen. Der Achskreuzwinkel ist beim Wälzschälverfahren demnach so zu wählen, dass im Prozess die zur Spanabnahme erforderliche Schnittgeschwindigkeit erreicht wird, ohne dass das Werkzeug eine zusätzliche Hubbewegung wie beim Wälzstoßen ausführen muss. Zur Bearbeitung der gesamten Verzahnungsbreite wird beim Wälzschälen der Werkzeugrotation ein Axialvorschub sax überlagert.

Forschung am wbk Institut für Produktionstechnik
Die aktuellen Weiterentwicklungen des Wälzschälverfahrens in der Weichbearbeitung, die zu einem deutlichen Aufleben des Interesses am Verfahren und einer zunehmenden Verbreitung geführt haben, erfolgen beginnend mit der Programmierung eines Softwareprogramms zur rechnerischen Auslegung von Schälrädern am wbk. Ziel der Arbeiten war es, den Wälzschälprozess mit einem ganzheitlichen mathematischen Ansatz zu beschreiben, mit diesem mathematischen Modell die Kinematik des Verfahrens allgemein zugänglich zu machen und somit die Grundlage für eine nachhaltige Etablierung am Markt zu ermöglichen. Erstmals wurden dabei die Vorteile des Einsatzes von zylindrischen Werkzeugen nutzbar gemacht, indem die Verwendung des Spanflächenversatzes zur Erzeugung eines effektiven Freiwinkels berücksichtigt wurde. Neben der Berechnung der Werkzeugkontur ermöglicht das Programm auch die Bestimmung der zugehörigen Prozessparameter und Spanungszustände.
Die sich daran anschließenden experimentellen Untersuchungen am wbk hatten das Ziel, eine Steigerung der Prozesssicherheit beim Wälzschälen in der Weichbearbeitung zu ermöglichen. Dabei sollte insbesondere der Hochleistungscharakter des Verfahrens nach aktuellem Stand der Technik herausgearbeitet werden. Einen zentralen Punkt stellten die Tests verschiedener Schneidstoffe und Beschichtungen dar. Es wurden umfangreiche Standwegversuche mit pulvermetallurgisch hergestelltem Schnellarbeitsstahl sowie unterschiedlen Sorten Hartmetall durchgeführt.
Zur Erarbeitung des bisher fehlenden grundlegenden Prozessverständnisses wurden am wbk 3D-FEM-Kinematik- und Spanbildungsmodelle aufgebaut. Die FEM erlaubt dabei die detaillierte Betrachtung der kinematischen Verhältnisse beim Schneideneingriff und der Mechanismen der Bildung des verfahrenscharakteristischen Dreiflankenspans und macht damit umfangreiche Informationen zu den Prozesszuständen zugänglich. Es konnte gezeigt werden, dass die FEM eine leistungsfähige und vielseitige Möglichkeit zur Untersuchung des Wälzschälverfahrens darstellt und als ein mit konventionellen Methoden nicht verfügbares Werkzeug zur Erhöhung des grundlegenden Prozessverständnisses und damit als eine wichtige Möglichkeit zur nachhaltigen Optimierung des Wälzschälverfahrens angesehen werden kann. Die Analyse des Verfahrens mit Hilfe der Simulation ist insbesondere auch daher nützlich, weil sie allgemeingültige Erkenntnisse zum Prozess liefert und für eine Werkzeug- und Prozessauslegung gänzlich neuer Bauteile eingesetzt werden kann.